Extrakosten für Streaming: Werden die Öffentlich-Rechtlichen zum Pay-TV?

Schon doppelt GEZahlt?
In Anlehnung an den Werbeslogan der GEZ „Schon GEZahlt?“ (nachbearbeitet von GehtSoGarNicht)

Seit Oktober 2022 betreibt der öffentlich-rechtliche Sender ARD neben seiner Mediathek auch eine eigene Streaming-Plattform, genannt ARD Plus. Vorteil: Was vorher ein Teil von MagentaTV, Apple TV+ und Amazon Prime Video war, ist nun auch ohne Account bei diesen Diensten nutzbar. Das entsprechende Angebot des Zweiten Deutschen Fernsehens können derzeit nur Abonnenten von Amazon Prime über einen zubuchbaren Extrakanal nutzen. Sowohl bei ARD Plus als auch bei ZDF select sind vor allem Eigenproduktionen wie Tatort, Derrick, Der Tatortreiniger oder The Tourist zu sehen, aber auch eine Reihe an eingekauften internationalen Filmen und Serien.

Für viele Beitragszahler wirkt es wie Abzocke, dass man für die Nutzung des jeweiligen Dienstes ein zusätzliches Abonnement für 4,99 Euro im Monat abschließen muss. Wer darauf gehofft hatte, dass mit der Abnabelung von anderen Streaming-Diensten die Kosten zumindest bei ARD Plus wegfallen würden, wurde herb enttäuscht. Dabei hat der Fernsehzuschauer den Löwenanteil der eingestellten Inhalte sowieso bereits mit den gezahlten GEZ-Gebühren finanziert. Aus welchem Grund soll man jetzt plötzlich für alte Inhalte noch einmal extra löhnen?

Schon doppelt GEZahlt?
In Anlehnung an den Werbeslogan der GEZ „Schon GEZahlt?“ (nachbearbeitet von GehtSoGarNicht)
Warum Eigenproduktionen nicht unbegrenzt in der Mediathek verbleiben dürfen

Für einen Durchschnittsbürger sind die Hintergründe kaum noch logisch nachzuvollziehen. Über den Onlineauftritt tagesschau.de versuchten sich die Verantwortlichen aufgrund der negativen Medien- und Zuschauerreaktionen an einer Erklärung, die sich im Grunde genommen auf ein „Uns sind die Hände gebunden!“ herunterbrechen lässt. Der von uns allen gezahlte Rundfunkbeitrag finanziert laut den Erläuterungen nur den öffentlich-rechtlichen Auftrag. Dieser ist aber auf die Fernseh- und Rundfunkprogramme sowie die Onlineangebote der Sender beschränkt. Weiterführende Angebote dürfen nicht über die GEZ-Gebühren abgedeckt werden, auch wenn vielleicht sogar genug Geld dafür übrig wäre.

Nun wird sich der eine oder andere vielleicht fragen, warum eine Bereitstellung älterer Eigenproduktionen über eine Streaming-Plattform ein weiterführendes Angebot darstellt. Zum einen handelt es sich bei Streaming doch per definitionem um ein Onlineangebot (siehe Wiktionary), das bei ARD Plus und ZDF select sogar per Name eindeutig dem Sender zugeordnet werden kann. Zum anderen gewährt es im Prinzip nur einen kostenfreien Zugang zum Archiv oder zu einer erweiterten Mediathek, wenn man konsequenterweise nur eigene, GEZ-finanzierte Werke auf diesem Weg dauerhaft zur Verfügung stellt. Verwirrend ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass das Urheberrecht dem Rechteinhaber in § 15 Abs. 2 völlige Freiheit zusichert, wo und wie lange er seine Werke öffentlich zugängig macht. Wieso sollten die Öffentlich-Rechtlichen hier in ihren Rechten beschnitten sein?

Wir haben hierzu bei ARD Plus nachgefragt und wurden auf den Medienstaatsvertrag (MStV) verwiesen, der wohl die Wurzel allen Übels ist. Dieser existiert seit 2020 als Nachfolger zum Rundfunkstaatsvertrag und wurde von allen 16 Landesparlamenten angenommen. Er dient der Umsetzung der EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (AVMD) in nationales Recht. Darin finden sich beispielsweise in § 30 Regelungen zur maximalen kostenfreien Verweildauer von Inhalten in Mediatheken. In der Regel sind 7 bis 30 Tage, je nach Art der Sendung, erlaubt. Für Eigenproduktionen findet man zwar explizit keine festen Fristen, aber § 32 Abs. 1 stellt klar, dass auch diese Inhalte nicht vollkommen unbefristet im eigenen Portal bereitgestellt werden dürfen.

Zusatzkosten ohne Ende

Laut Medienstaatsvertrag gelten alle Angebote, die über den definierten Rahmen hinausgehen, als Verwertungsaktivitäten. Solche kommerziellen Tätigkeiten sind den öffentlich-rechtlichen Sendern zwar nicht grundsätzlich untersagt, sie müssen laut § 40 Abs. 1 MStV aber über rechtlich selbstständige Tochtergesellschaften wie die ARD Plus GmbH unter Marktbedingungen stattfinden. Und unter Marktbedingungen bedeutet dabei eben auch, dass diese Angebote nicht über die GEZ-Gebühren finanziert werden dürfen.

Selbst ein unbedarfter Laie kann sich gut vorstellen, dass die Gründung einer eigenen Tochtergesellschaft jede Menge Zusatzkosten verursacht. Da werden neue Räume, Mitarbeiter und natürlich auch Gesellschafter benötigt. Es muss eine eigene Serverlandschaft eingerichtet oder angemietet, eine eigene Datenbank zumindest für die Kundendaten betrieben, eine eigenständige App entwickelt werden und dabei muss auch der Datenschutz in besonderem Maße beachtet werden. All dies muss strikt getrennt erfolgen. Eine Nutzung der bereits bestehenden Strukturen der Öffentlich-Rechtlichen ist nicht erlaubt, da das schon wieder eine Wettbewerbsverzerrung darstellen könnte. Jeder neue Streaming-Anbieter betreibt natürlich auch Werbung. Aber als Tochterunternehmen müsste sich ARD Plus für teures Geld sogar die Werbeschaltungen im Programm der ARD kaufen.

Jetzt kommt aber der größte Unsinn hinsichtlich der Marktkonformität, der niemandem mehr logisch erklärt werden kann. Laut unserem sehr freundlichen Mailkontakt bei der ARD Plus GmbH muss das Tochterunternehmen sogar für die Eigenproduktionen aus dem ARD-Verbund Lizenzen erwerben. Marktüblich ist hier, wie uns ebenfalls auf Nachfrage bestätigt wurde, eine zeitliche Beschränkung und keine dauerhafte Abgabe. Womit sich die Katze in den eigenen Schwanz beißt und der Kunde auch bei ARD Plus nicht sicher sein kann, dass z. B. alle alten Tatort-Folgen ständig im Abo zum Abruf bereitstehen. Um konkurrenzfähig zu bleiben, erwirbt ARD Plus zusätzlich noch internationale Inhalte von anderen Anbietern, die natürlich ebenfalls Kosten verursachen.

Fazit

Hauptsächlich wegen der Fremdlizenzen, die unserer Ansicht nach aber nicht ursprünglicher Sinn und Zweck des Streaming-Angebots waren, haben die Nutzer zum Teil Verständnis für die Gebühr. Dennoch ist ihre Höhe ein häufiger Kritikpunkt. Der Geschäftsführer der ARD Plus GmbH, Michael Loeb, erklärt hierzu, dass ein sehr niedriger, symbolischer Preis zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Deshalb muss ein Marktpreis gezahlt werden, der sich an anderen Anbietern orientiert. Diese Bedingung ist ebenfalls im Medienstaatsvertrag festgehalten.

Loeb sieht als Ausweg eine Änderung des Medienstaatsvertrages, die auch unserer Meinung nach dringend nötig wäre. Aktuell sind die Öffentlich-Rechtlichen durch die Einschränkungen und Zusatzauflagen an vielen Stellen sogar schlechter dran als manch anderer Streaming-Anbieter. Die meisten müssen nämlich nicht den komplizierten und teuren Umweg über Tochtergesellschaften gehen und können ihre Eigenproduktionen unbegrenzt vermarkten. Nach entsprechenden Lockerungen wären ARD und ZDF theoretisch nicht mehr gezwungen, die eigenen Inhalte hinter der Bezahlschranke zu verbergen. Ob man dann auch praktisch auf jegliche Bezahlung verzichtet, sei mal dahingestellt.

Solange sich aber von staatlicher Seite nichts ändert, bleibt für den TV-Junkie wieder einmal nur die Frage, ob er die zusätzlichen Kosten tragen will oder eben nicht. Denn ganz im Gegensatz zur GEZ-Gebühr sind sowohl ARD Plus als auch ZDF select zum Glück kein Muss. Ein Verzicht wäre sogar zum Vorteil. Wenn nämlich genügend Abonnenten bereit sind, für das Streaming-Angebot – wenn auch vielleicht zähneknirschend – zu zahlen, dann könnten die Verantwortlichen auf die Idee kommen, dass man sich langwierige Verhandlungen zu Änderungen des Medienstaatsvertrags sparen kann.

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Quellen

Tagesschau.de – Neues Streamingangebot: Warum ist ARD Plus nicht kostenlos?
Web.de – ARD Plus: Warum ist das Streaming-Angebot der ARD kostenpflichtig?
Watson.de – ARD und ZDF: Darum musst du für alte „Tatort“-Folgen zahlen
Medienstaatsvertrag – Nachfolger des Rundfunkstaatsvertrags, die Rechtsgrundlage in der deutschen Medienlandschaft
Gesetze im Internet – Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte

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