Ich sehe was, was du nicht siehst

Notizbuch, reichlich gefüllt mit Streaming-Terminen bei diversen Anbietern
„Nein, das wird wohl nichts mit dem Treffen. Nur Termine, nur Termine. Meine Abende sind komplett ausgebucht.“ (leeres Notizbuch - Urheber: Gaby Stein, Quelle: Pixabay)

Im Fernsehen läuft immer nur das Gleiche? Du wartest schon ewig auf die neue Staffel deiner Lieblingsserie? Du willst mit Freunden einen Videoabend machen? Heutzutage ist alles ganz einfach, denn du kannst streamen, worauf du Lust hast. Streamingdienste schießen aus dem Boden wie Pilze nach einem Herbstregen. Längst haben sie die herkömmlichen Videotheken abgelöst. Im Grunde ist das eine tolle Sache: keine verkratzten DVDs, keine Extrawege und der gewünschte Titel ist nie vergriffen. Wenn man sich jedoch näher damit beschäftigt, wird schnell klar: Ganz so perfekt funktioniert es dann doch nicht. Wie so oft steht der Kundenwunsch nämlich an letzter Stelle hinter den Interessen von Filmverleihen, Firmen und sogar dem Staat.

Was dem Kunden die Laune vermiest

Zunächst einmal ist das Streamen natürlich im Gegensatz zum Privatfernsehen nicht kostenlos. Auch die früher üblichen Probemonate, in denen man völlig unverbindlich das Angebot testen konnte, werden inzwischen von den meisten Diensten nicht mehr angeboten. Dass man – wie für die Ausleihe in der Videothek – Geld bezahlen muss, ist an sich völlig in Ordnung. Leider kann sich der Kunde aber nur zwischen zwei Übeln entscheiden: dem gerade bei neuen Inhalten sehr teuren Einzelabruf, der allerdings nicht von allen Plattformen angeboten wird, oder einem Abonnement zum moderaten Preis, das aber einige zusätzliche Nachteile hat:

  • Abopreise lassen sich nur schlecht vergleichen, denn das Angebot ist nicht überall gleich groß. Manche Modelle wirken unschlagbar günstig, aber es sind nicht alle verfügbaren Inhalte kostenfrei abrufbar. Bei manchen Diensten kommen Extrakosten für bessere Bildqualität, aktuelle Inhalte oder Top-Serien hinzu. So kann Streamen schnell zum sehr teuren Hobby werden.
  • Jeder Anbieter sichert sich die Rechte an bestimmten neuen Filmen oder Serien, die zunächst exklusiv nur dort zu sehen sind. Da die Lizenzen begehrt sind und dementsprechend teuer vergeben werden, hat kein Streamingdienst wirklich alle Neuheiten im Angebot. Wer verschiedene Interessen hat, vielleicht dazu noch sportbegeistert ist und nicht warten will, wird mehr als ein Abonnement benötigen, um rundum zufrieden zu sein.
  • Viele Dienste setzen wegen der hohen Lizenzgebühren zunehmend auf Eigenproduktionen, die zum Teil auch richtig gut gelungen sind. Diese sind dann aber leider häufig an den Anbieter gebunden und nur dort abrufbar. Manchmal tauchen sie später auch bei Partnerunternehmen auf. Es ist aber fraglich, ob diese Inhalte jemals im Free-TV zu sehen sein werden.
  • Das Portfolio ist ständigen Schwankungen unterworfen und man hat trotz monatlicher Gebühren keinerlei Anrecht auf bestimmte Inhalte. Die angebotenen Titel sind nicht zwingend dauerhaft im Programm (Eigenproduktionen ausgenommen). Das liegt daran, dass Streaminganbieter die Fremdinhalte ebenfalls nur für einen begrenzten Zeitraum beim Filmverleih ausleihen können. So kann es passieren, dass ein Film, der gerade noch bei Anbieter 1 lief, plötzlich exklusiv bei Anbieter 2 verfügbar ist. Für den Abonnenten ist dies ein andauerndes Ärgernis. Er muss sich ständig über evtl. anstehende Löschungen informieren, die zu allem Überfluss häufig erst sehr spät angekündigt werden (beispielsweise bei Netflix). Im schlimmsten Fall ist man als Serienfan gezwungen, in kürzester Zeit alle Restfolgen am Stück anzusehen.

Von Einzelkäufen ist dringend abzuraten, denn wie bei vielen digitalen Inhalten (siehe unser Artikel zu DRM) erwirbt man kein wirkliches Eigentum, sondern nur eine Lizenz, weswegen die gekauften Filme, Serien und Events häufig nicht heruntergeladen und archiviert werden können. Stattdessen sind sie nur über den Anbieter verfügbar und können bei einem Wechsel zu einem anderen Streamingdienst nicht mehr abgerufen werden.

Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass rechtlich gesehen das Streaming auf den eigenen Haushalt beschränkt ist. Schaut man sich die AGBs der Dienste genau an, gibt es dort in der Regel eine entsprechende Formulierung. Ein Videoabend mit Freunden ist deshalb nicht zulässig. Das ist jedoch seitens des Unternehmens schwer zu überprüfen. Problematischer kann ein längerer Aufenthalt bzw. ein Umzug ins Ausland werden, denn Streaming wird per Ländersperre geschützt und ein Abonnement eines deutschen Anbieters kann in anderen Ländern nicht genutzt werden. Es gibt zwar Umgehungslösungen (VPNs), aber die Nutzung dieser ist nicht kostenlos und wird immer weiter erschwert. Sie widerspricht außerdem den AGBs der Streamingdienste und kann sogar zu einem dauerhaften Ausschluss vom Angebot führen.

Warum einfach, wenn es auch kompliziert und teuer geht
Notizbuch, reichlich gefüllt mit Streaming-Terminen bei diversen Anbietern
„Nein, das wird wohl nichts mit dem Treffen. Nur Termine, nur Termine. Meine Abende sind komplett ausgebucht.“ (leeres Notizbuch – Urheber: Gaby Stein, Quelle: Pixabay)

Wer sich für Streaming interessiert, sollte sich Zeit nehmen und die Kosten durchrechnen, bevor er sich für ein Abo entscheidet. Mehrere Anbieter gleichzeitig zu nutzen, ist in der Regel eine schlechte Idee. Damit sich die monatlichen Gebühren für zwei Abos lohnen, müsste man schon nahezu jede freie Minute mit Streamen verbringen und vor allem auch genau darauf achten, alle Anbieter gleichmäßig auszunutzen. Da das vielen Nutzern zu kompliziert ist, zahlt ein Großteil der Abonnenten wahrscheinlich zu viel. Alternativ kann man Abos mit kurzer Laufzeit wählen (die dann aber teurer sind), um kurzfristig zwischen Anbietern wechseln zu können. Das ist aber auch keine wirklich komfortable Lösung.

Leider ist keine Verbesserung für den Kunden in Sicht. Es wird in den nächsten Jahren eher noch unübersichtlicher und unkomfortabler. Viele Filmverleihe wittern inzwischen das große Geld, gründen ihre eigenen Streamingplattformen und bieten ihre Filme und Serien dann exklusiv nur noch dort an. Die große Frage bleibt allerdings, wozu überhaupt so viele zwischengeschaltete Streaminganbieter nötig sind. Die für den Kunden optimale Variante wäre eine große Online-Videothek mit den verfügbaren Inhalten aller Anbieter, bei der die Kosten nutzungsbasiert erhoben und direkt dem jeweiligen Lizenzinhaber gutgeschrieben werden. Dabei würde man auch noch die Umwelt schonen, denn jeder Streamingdienst betreibt eigene Seiten, Anmeldeserver und Kundendatenbanken, die zusammengelegt oder ganz eingespart werden könnten. Statt einer App pro Anbieter müsste nur noch eine einzige permanent weiterentwickelt und für alle möglichen Endgeräte aktuell gehalten werden. Weniger beteiligte Firmen bedeuten letzten Endes auch weniger Verwaltungs- und Werbekosten, wodurch die Preise günstiger gestaltet werden könnten.

Goodbye Qualität und Werbefreiheit?

Mittlerweile ist die Streaminglandschaft im Umbruch. Ein Grund ist der Nutzerschwund bei den Platzhirschen, der zu Umsatzeinbußen führt. Brisante Nachrichten gab es in diesem Zusammenhang im April 2022 von Netflix. Nach Berichten von filmstarts.de will der Streamingdienst das Portfolio umstrukturieren. Mit möglicherweise frisierten Daten über das Nutzerverhalten versucht man wohl, die Kreativen dazu zu bringen, mehr Mainstreaminhalt zu produzieren. Der zitierte Reporter hat sich im Animationssektor umgehört, in dem größtenteils Kinderfilme und -serien produziert werden. Es ist jedoch zu befürchten, dass nach und nach auch die anderen Bereiche betroffen wären. Zu beobachten ist aktuell schon eine Zunahme an Blockbustern und kostengünstigen Produktionen.

Für viele Abonnenten ist dies ein Schlag ins Gesicht. Eine Opferung der Vielfalt würde einen der größten Vorteile des Streamings gegenüber dem Free-TV zunichtemachen. Im schlimmsten Fall hätten wir dann ein Phänomen ähnlich dem Dudelfunk im Radio: viele verschiedene Anbieter, aber die Inhalte ähneln sich so stark, dass sie nahezu austauschbar sind.

Und es gibt weitere schlechte Neuigkeiten, denn die Werbung hält letztendlich doch im Streaming Einzug! Der Dienst Disney+ will bis Ende 2022 ein günstigeres, zumindest zum Teil werbefinanziertes Modell anbieten. Und selbst Netflix ist dieser Idee nicht grundsätzlich abgeneigt, wie der CEO im Gespräch mit der „Variety“ zugab. Für mich ist das eine grauenvolle Vorstellung. Die Werbefreiheit war immer der Pluspunkt beim Streamen. Geld zu bezahlen und sich dann trotzdem noch Werbung ansehen zu müssen, kommt für mich absolut nicht in Frage.

Jetzt könnte man einwenden, dass es sich nur um ein zusätzliches Angebot handelt, um neue Abonnenten zu gewinnen. Aber ob es wirklich dabei bleibt? Über kurz oder lang sind mit ziemlicher Sicherheit auch die Nutzer der werbefreien Modelle betroffen, da die Abogebühren mit Verweis auf das alternativ existierende Angebot immer weiter angehoben werden können. Die Werbefreiheit, ein essenzielles Element des Streamings, würde dadurch plötzlich zu einem Privileg werden, das man sich immer teurer erkaufen müsste. Ein Aussterben des werbefreien Streamens wäre auf Dauer vorprogrammiert.

Bevor auf solche unpopulären Maßnahmen zurückgegriffen wird, könnte man für den kleinen Geldbeutel stattdessen nutzungsbasierte Abomodelle anbieten. Es wäre z. B. möglich, bestimmte Abrufmengen festzulegen, bei deren Überschreitung das Abo dann entsprechend teurer wird, während der Grundpreis niedrig gehalten werden kann. Dadurch könnte man Vielstreamer mehr zur Kasse bitten. Für Interessenten mit wenig Zeit oder einem kleinen Geldbeutel würden aber gelegentliche Abrufe günstiger werden. Der Kunde hätte einen direkten Einfluss auf die Kosten und Sparfüchse müssten sich nicht zum Ansehen von Werbung zwingen lassen. Ganz nebenbei könnten es sich mehr Interessenten leisten, mehrere Anbieter zu nutzen, da sie bei jedem nur geringe Abrufmengen im Monat hätten.

Ergänzung vom 29.10.2022: Jetzt ist es wirklich geschehen! Netflix bricht ab November 2022 sein „Werbefrei-Versprechen“. Es wird fortan ein zum Teil werbefinanziertes und deshalb günstiges Abo-Modell geben, das aktuell als Superneuerung für den kostenbewussten Nutzer angepriesen wird. Ich rate dringend allen, sich hier nicht blenden zu lassen. Es handelt sich hierbei nicht etwa um Werbung zwischen einzelnen Titeln, sondern um die unmögliche Unterbrecherwerbung mitten in einem Film oder einer Serienfolge. Zu einem gewissen Grad soll es sich wohl sogar um personalisierte Werbung handeln, was bedeutet, dass Nutzerdaten zu Werbezwecken gesammelt und verarbeitet werden können.
Es sind zwar erst einmal nur wenige Werbespots vorgesehen und neue Inhalte sowie das Kinderprogramm werden zunächst komplett werbefrei bleiben. Aber es ist davon auszugehen, dass diese Einschränkungen nur Kunden von dem neuen Modell überzeugen sollen. Über kurz oder lang werden sie wegfallen. Selbst wenn Netflix minimale Werbung auf Dauer versprechen würde, wissen wir inzwischen, was solche Versprechungen wert sind. Und 5 bis 10 Werbeminuten pro Stunde summieren sich auch auf. Dies ist vergeudete Lebenszeit, die man sinnvoller und stressfreier verbringen kann. Schon wenn man nur mit 10 Minuten pro zweistündigen Fernsehabend rechnet, kommt man auf über 1 Stunde in der Woche, also etwa 60 Stunden (2,5 Tage) im Jahr.
Die beste Reaktion ist und bleibt die „Entscheidung mit den Füßen“. Diese kann zum einen durch Nichtnutzung des neuen Modells erfolgen. Wenn nur wenige Nutzer gerade in den ersten Testländern (zu denen auch Deutschland zählt) Interesse zeigen, hat der Spuk hoffentlich ein schnelles Ende. Zum anderen sollte jeder für sich entscheiden, ob er einem Streaminganbieter weiter die Treue halten will, der aus reinen Geschäftsinteressen seine Versprechen bricht und seine Abonnenten gängelt, die ihren Unmut über Experimente mit Werbeeinblendungen bereits mehrfach deutlich gezeigt haben.

Die Macht des Abonnenten

Dass die Nutzer solch eklatante Fehlentscheidungen nicht hinnehmen müssen, beweisen zwei missglückte Aktionen in den letzten Jahren. So hat Amazon Prime im Sommer 2021 neben den üblichen Vorschauspots zu Beginn eines Abrufs plötzlich mitten in Filmen Unterbrecherwerbung ausgestrahlt. Aufgrund heftiger Nutzerreaktionen ruderten die Verantwortlichen wieder zurück und sprachen von einer technischen Panne. Warum das ungewollte Verhalten eine ganze Woche lang keinem Mitarbeiter aufgefallen war, bleibt im Dunkeln. Es ist zu vermuten, dass dies ein Probelauf war, um die Reaktionen der Abonnenten zu testen. Wären die Nutzer nicht auf die Barrikaden gegangen, hätte man einen Fuß in der Tür gehabt und damit die Möglichkeit bekommen, nach und nach immer mehr Werbung zu platzieren.

Auch der Pay-TV-Sender Sky hatte bereits 2016 Unterbrecherwerbung auf manchen Sendern eingeführt (siehe unser weiterführender Artikel: Sky-Fall(e): Mit der Lizenz zum Gängeln). Im April 2021 wurde dieser Schritt wieder zurückgenommen. Ob man die jahrelangen Beschwerden der Abonnenten endlich erhört hat oder der Konkurrenzdruck durch die (noch) werbefreien Streaminganbieter zu groß wurde, ist allerdings unbekannt.

Was gibt es für Alternativen?

Hier muss ich zunächst ein paar Worte zu jenen Streamingportalen verlieren, die wie ein Eldorado für Serien- und Filmfans wirken, weil sie absolut nichts kosten und trotzdem Unmengen an Serienepisoden und Filmen (meist Fernsehaufnahmen) zur Verfügung stellen. Diese Angebote verstecken sich nicht ohne Grund auf dubios anmutenden Internetseiten. Sie sind wegen potenzieller Virenbelastung mit äußerster Vorsicht zu genießen und in Deutschland aus Urheberrechtsgründen seit einem Entscheid des Europäischen Gerichtshofs vom April 2017 ohnehin nicht mehr legal. Anders sieht es in der Schweiz aus. Dort ist es durchaus erlaubt, diese Portale zu nutzen. Man darf die Medien für den Privatgebrauch sogar auf den eigenen Rechner herunterladen.

Hat man eine Sendung verpasst, ist man hierzulande auf die Mediatheken der TV-Sender beschränkt, über die man ausgestrahlte Inhalte zumindest einige Tage lang kostenlos ansehen kann. Eigenproduktionen stehen in der Regel länger zur Verfügung. Ein gewaltiger Nachteil dieser Angebote ist gerade bei den privaten Sendern die übermäßige, nervige Werbung auch an völlig unpassenden Stellen. Diese lässt sich wiederum nur umgehen, wenn man ein Premiumabonnement abschließt (siehe auch „Schatz, die Werbung wird schon wieder durch einen Film unterbrochen“). Meist sind auch nicht alle der im Programm gelaufenen Sendungen abrufbar, da für die Bereitstellung in Mediatheken ebenfalls Lizenzverträge abgeschlossen werden müssen.

Immer interessanter wird für Streamer in letzter Zeit YouTube. So mancher Fernsehsender stellt auf seinen eigenen Kanälen inzwischen gute und aktuelle Inhalte zur Verfügung. Die Videoplattform strotzt zwar vor Werbung, aber es gibt diverse Möglichkeiten, diese zu umgehen, sei es mit dem Werbeblocker im Browser oder einer App wie SmartTube auf Android-Geräten (hier mehr dazu: Tutorial: In wenigen Schritten zum werbefreien Internet).

Weiterführende Artikel

„Schatz, die Werbung wird schon wieder durch einen Film unterbrochen“
waipu.tv – Für unsere Werbung musst du zahlen
Extrakosten für Streaming: Werden die Öffentlich-Rechtlichen zum Pay-TV?
Schöne neue, beschränkte Welt – Wenn Fortschritt zum Rückschritt wird
Sky-Fall(e): Mit der Lizenz zum Gängeln
Immer die gleiche Leier – warum Radiohören zur Qual geworden ist
Tutorial: In wenigen Schritten zum werbefreien Internet

Quellen

Filmstarts – Folgen des Abonnentenrückgangs: Datenhörigkeit und Fehlentscheidungen bei Netflix
Chip – Kolumne zu Streaming mit Werbung: Auf so ein Abo-Modell kann ich getrost verzichten
Golem – Artikel zu angeblich ungewollten Werbeunterbrechungen bei Amazon Prime
Buffed – Werbung statt Abo: Die Zukunft des Film- und Serien-Streamings?
PCGames – Artikel zum neuen Abo-Modell mit Werbung bei Netflix

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