Deutschland hat ein gutes Gesundheitssystem. Die Ärzte sind hervorragend ausgebildet. Sie nehmen sich genug Zeit für alle Patienten, sprechen mit ihnen offen und ehrlich über ihre Beschwerden und deren Ursachen und informieren umfassend über Behandlungsmöglichkeiten. Dabei hat die schnelle Gesundung des Patienten immer oberste Priorität. So zumindest könnte es nach außen hin den Anschein haben. Die Realität sieht aber leider anders aus, denn es herrscht vielerorts Ärztemangel.
Hausärzte gesucht
Laut einer Studie der Cambridge University im Jahr 2017 beträgt die Konsultationszeit beim Hausarzt durchschnittlich weniger als 5 Minuten weltweit. Dabei liegt Schweden mit 22,5 Minuten an der Spitze, Schlusslicht ist Bangladesch mit nur 48 Sekunden. Deutschland liegt mit 7,6 Minuten im Mittelfeld. Für die WHO bedeutet eine lange Konsultationszeit eine hohe Qualität der Behandlung.
Die Zahlen decken sich mit meinen eigenen Erfahrungen. In meinem Umfeld sind selbst manche Fachärzte überlastet, ausgebucht und deshalb kurz angebunden. Mitunter ist es sogar unmöglich, telefonisch einen Termin zu vereinbaren, weil die Leitung permanent besetzt ist oder aufgrund des hohen Andrangs ganz abgestellt wird. Hat man es dann ins Sprechzimmer geschafft, kann man zuweilen seine Beschwerden nicht ausführlich erläutern, sondern wird unterbrochen, weil die Zeit zu knapp bemessen ist.
Das Problem ist bekannt. Bei uns in Sachsen herrscht, wie in einigen anderen Bundesländern auch, akuter Ärztemangel, dem auch mit Fördermaßnahmen bisher nicht beizukommen war. Besonders auf dem Land kommen zu viele Patienten auf einen Arzt. Wer auf dem Dorf wohnt, muss immer weitere Wege in Kauf nehmen. Gerade für ältere Menschen ist das schwierig. Die freie Arztwahl ist aber auch in der Stadt nicht mehr gegeben. Viele Ärzte sind überlastet und nehmen keine neuen Patienten mehr auf. Wenn der eigene Arzt in Rente geht oder aus einem anderen Grund seine Praxis aufgibt, aber auch als neuer Zuzügler muss man nach dem Motto „Friss, Vogel, oder stirb“ mit demjenigen vorliebnehmen, der noch freie Kapazitäten hat – in den meisten Fällen nicht der beste örtliche Mediziner.
Die Ärztestatistik zeigt, dass sich zwar die Anzahl der ambulanten Ärzte seit 1996 versechsfacht hat, bei den niedergelassenen Medizinern sank die Zahl jedoch allein im Jahr 2018 um 884. Im Gegenzug wächst die Zahl der Behandlungsfälle stetig. Die prekäre Situation verdeutlichte Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), bei der Vorstellung der Ärztestatistik für 2018: „Bund und Länder haben sich jahrelang durchgemogelt und sich darauf verlassen, dass die Ärztinnen und Ärzte es schon richten werden. Es ist richtig, dass der ärztliche Nachwuchs dieses Spiel nicht mehr mitspielt und nicht mehr bereit ist, über seine Belastungsgrenze zu gehen.“
Zu wenig Zeit und zu schlechte Bezahlung
Die immer längeren Anfahrtswege gerade auf dem Land kosten den Arzt bei Hausbesuchen viel Zeit, und da die Gesellschaft überaltert, werden sie weiter zunehmen. Es stünde aber auch wesentlich mehr Behandlungszeit zur Verfügung, wenn den Medizinern nicht ständig neue bürokratische Aufgaben aufgebürdet würden. Da müssen Anfragen von Krankenkassen, Sozialgerichten und Arbeitsämtern zu den Patienten beantwortet werden. Geforderte Formulare zum Datenschutz, zum Qualitätsmanagement und zur Hygienesicherung verzögern den Praxisablauf zusätzlich. Dazu nimmt der allgemeine Dokumentationsaufwand beständig zu, was wieder zur Folge hat, dass der Arzt während der Sprechstunde immer häufiger auf den PC-Bildschirm oder in die Patientenakte schaut. Aber auch nach dem eigentlichen Dienstschluss ist noch eine Menge Papierkram zu erledigen. Der Stressfaktor der Mediziner ist entsprechend hoch. Laut einer Umfrage des Ärztenachrichtendiensts vom Februar 2020 sind 91% der Ärzte der Meinung, dass der bürokratische Aufwand in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist.
Die Corona-Pandemie macht das Defizit aktuell noch einmal besonders deutlich. Durch das COVID-19-Virus wurden die Mediziner vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Das fängt schon bei speziellen Fiebersprechstunden für Akutpatienten und dem Verschieben von nicht dringend nötigen Behandlungen und Untersuchungen, um die Patientenzahlen im Wartezimmer zu minimieren, an. Hinzu kommen Impfungen und Impfberatungen, die ebenfalls Zeit in Anspruch nehmen, welche dann im normalen Praxisalltag fehlt. Der zusätzliche logistische und bürokratische Aufwand verschlimmert die Situation zusätzlich.
Erschwerend hinzu kommt, dass Ärzte bei Kassenpatienten nur eine Pauschale für Konsultationen und Behandlungen erhalten. Diese wird nach dem Lebensalter berechnet und nur einmal (!) pro Quartal ausbezahlt. Sie ist sehr niedrig angesetzt – ein Arzt verdient nur zwischen 15,50 und 30,70 Euro im Vierteljahr an einem Kassenpatienten. Dabei wird in keiner Weise berücksichtigt, wie oft und wie lange dieser ihn reell in Anspruch nimmt. Wer kostendeckend arbeiten will, ist also gezwungen, möglichst viele Patienten in kürzester Zeit abzuarbeiten.
Wenn Geld und Zeit nicht ausreichen…
Eine der direkten Folgen ist die Bevorzugung von Privatpatienten. Sie bekommen mehr Sprechstundenzeit eingeräumt, erhalten schneller Termine und müssen nicht so lange im Wartezimmer ausharren. Zusätzliche Versicherungsmodelle, mit denen man sich weitere Vorteile erkaufen kann, fördern die Ungleichbehandlung noch mehr. Das geringe Gehalt für Kassensprechstunden versuchen manche Ärzte mit der Verordnung von privat zu bezahlenden IGeL-Behandlungen auszugleichen, die zum Teil auch aggressiv vermarktet werden. Wegen solcher meist unnötigen Behandlungen finden dann halbe oder ganze Tage lang keine Sprechstunden statt, wodurch sich die Kassenpatienten noch weiter aufstauen. IGeL (Individuelle Gesundheitsleistungen) und die Geschäftstüchtigkeit vieler, gerade junger Ärzte sind aber ein umfassendes Thema, das wir in einem späteren Artikel näher beleuchten werden.
Häufig wenden Ärzte bei Kassenpatienten – vielleicht auch nur unbewusst – aus Kostendeckungsgründen auch eine weiche Triage an. Dieser nicht sehr geläufige Begriff kommt aus der Militärmedizin und ist zuletzt durch die COVID-19-Krise wieder bekannt geworden. Wenn sich bei Katastrophen wie Krieg oder Seuchen die Patienten häufen, muss dieser Ansturm irgendwie bewältigt werden. Es erfolgt noch vor der genauen Diagnose eine Entscheidung über die weitere Behandlung – im Extremfall über Leben und Tod!
Im Zivilbereich ist das Verfahren vergleichbar mit der Ersteinschätzung in der Notaufnahme. Der Arzt wägt ab, wie dringend eine Behandlung nötig ist, ob bzw. wie schnell sich Beschwerden verschlimmern können usw. Zeigt der Patient z. B. Anzeichen eines Herzinfarkts, muss sofort gehandelt werden, während eine Platzwunde noch warten kann. Auf den Haus- oder Facharzt übertragen, bedeutet das: Er macht sich ein Bild anhand der Patientenakte, ohne den Patienten genauer angesehen zu haben. Anhand dieser ersten Einschätzung entscheidet er, wie viel Konsultationszeit er ihm einräumen kann, ohne das Budget überzustrapazieren.
…bleibt der Patient auf der Strecke
Was im Extremfall notwendig ist, sollte aber nicht zur normalen Alltagsroutine werden, denn das kann zu einer ganzen Reihe von Negativeffekten führen. Patienten fühlen sich zu schnell abgefertigt und nicht ernstgenommen, wie der hier (Seite 12 – Abschnitt: Gelingende Arzt-Patienten-Kommunikation – die ewige Herausforderung?) geschilderte Fall einer 43-jährigen Frau mit Tumorverdacht zeigt. Da die Kommunikation auf der Strecke bleibt, verlassen sie die Praxis häufig schlecht informiert und nehmen dann die Medikamente nicht richtig oder gar nicht ein. Oder sie verschlimmern im Nachgang den Krankheitsverlauf, weil sie sich nicht angemessen verhalten.
Gerade ältere Patienten benötigen mehr Zeit u. a. durch umfangreiche Krankenakten, eingeschränktere Beweglichkeit und ein geringeres Hör- und Sehvermögen. Teilweise brauchen sie auch etwas länger, um komplexe Sachverhalte zu verstehen. Sie fühlen sich zu Recht benachteiligt, wenn der Arzt sie innerhalb von wenigen Minuten abfertigt, ihre Leiden nicht ernst nimmt und sie gar lapidar als Alterserscheinungen abtut, ohne den Ursachen genauer auf den Grund zu gehen. Aber auch Patienten, die nur gebrochen oder gar kein Deutsch sprechen sowie Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen brauchen mehr Sprechstundenzeit. Knapp 8 Minuten reichen nur selten für eine vollständige Anamneseerhebung und eine korrekte Diagnose aus. Diskriminierung und Ungleichbehandlung in die eine oder andere Richtung sind die logische Folge.
Wenn Patienten sich schlecht behandelt oder nicht ernst genommen fühlen, versagt übrigens auch der so wichtige Placeboeffekt seinen Dienst (positive psychische und körperliche Reaktionen, die nicht auf die spezifische Wirksamkeit der Behandlung zurückzuführen sind). Es kann sich sogar ein Noceboeffekt einstellen, wodurch dann eigentlich hilfreiche Therapien keine oder gar unerwünschte bzw. gegenteilige Wirkungen zeigen. Und wer von Medizinern keine wirkliche Hilfe erwarten kann, der geht überhaupt nicht mehr oder erst viel zu spät zum Arzt. Krankheiten und Verletzungen können sich dadurch verschlimmern oder im schlimmsten Fall lebensbedrohlich oder unheilbar werden.
Zeitmangel führt zu Überverordnungen…
Auf lange Sicht sehr gefährlich ist auch, dass bei Infekten oft nur aus einem Verdacht heraus Antibiotika verordnet werden. Obwohl sie von Patienten häufig als Allheilmittel angesehen werden, wirken sie nur bei bakteriellen Infektionen. Gegen Viren haben sie absolut keinen Nutzen und können durch Nebenwirkungen dem Patienten unter Umständen sogar noch zusätzlichen Schaden zufügen. Aber selbst wenn sie notwendig sind, wird in den meisten Fällen einfach auf Breitbandantibiotika zurückgegriffen. Dabei gibt es häufig Medikamente, die ganz gezielt gegen den betreffenden Keim wirken.
Die Überverordnung von Antibiotika ist einer der Hauptgründe dafür, dass immer mehr Bakterien Resistenzen gegen diese Stoffe entwickeln. Diese können dann in Folge nur noch sehr schwer oder gar nicht mehr behandelt werden. Dabei lässt sich mit Antibiogrammen feststellen, ob die Einnahme überhaupt sinnvoll ist. Bei einer Datenerhebung der BKK von 2016 kam aber heraus, dass bei Allgemeinmedizinern von 350.000 Antibiotikabehandlungen nur 15 mit Antibiogrammen untermauert waren. Auch Internisten schnitten mit 30 Antibiogrammen auf 119.000 Fälle nicht wirklich besser ab. Neben der Patientenerwartung gaben die befragten Ärzte den zusätzlichen Zeitaufwand und die Sorge um die Finanzierung der Untersuchung als Hauptgründe für die Verordnung an.
Antibiotika sind nur ein Beispiel für Überverordnungen. Die zu schnelle und zu häufige Verordnung von Schmerzmitteln kann zur Gewöhnung oder gar zu einer Sucht führen. Dauereinnahmen können Organe wie die Nieren schädigen oder zusätzliche Schmerzen verursachen. Die eigene Erfahrung zeigt auch: Der Arzt gibt mitunter keine oder nur unzureichende Dosierungsempfehlungen („bei Bedarf“) und klärt nicht über Nebenwirkungen auf. Ein Bekannter hat z. B. bei starken Kopfschmerzen über einen langen Zeitraum Paracetamol in hohen Dosen eingenommen. Dabei hielt er sich nach eigenen Angaben strikt an die vom Arzt vorgeschriebene Tageshöchstmenge. Leider hatte dieser zu erwähnen vergessen, dass diese starke Dosis die Ausnahme und nicht die Regel sein sollte. Die Folge waren eine Gewöhnung des Körpers sowie durch die Übermedikation ausgelöste zusätzliche Kopfschmerzen. Das Ganze fiel erst auf, als er sich beschwerte, dass die Medikamente in der Qualität nachgelassen hätten, weil die Tageshöchstmenge keine Wirkung mehr zeigte.
…und jahrelangen Fehlbehandlungen
Aber auch Differenzialdiagnosen bleiben häufig auf der Strecke. Aktuell verlassen sich Ärzte aus Zeitgründen viel zu häufig auf die Einschätzungen ihrer Vorgänger und schauen sich den Patienten meist gar nicht genauer an oder bilden sich, wie oben schon erwähnt, voreilig ein Urteil. Eine objektive Zweitmeinung zu bekommen, wird damit immer schwieriger. In meinem Umfeld haben schon mehrere Personen schlechte Erfahrungen in dieser Richtung machen müssen. Den schlimmsten Fall möchte ich hier als Beispiel anbringen:
Eine Bekannte hatte eines Abends plötzlich unerträgliche Gesichtsschmerzen, bei denen keine Schmerzmittel halfen. Ihre Neurologin stellte ziemlich schnell eine Trigeminusneuralgie fest, eine chronische Schmerzerkrankung der Gesichtsnerven. Als Ursache vermutete sie die bereits früher diagnostizierte Depression, ein altes Vorurteil bei Ärzten, das heutzutage widerlegt ist (siehe Quellen unten). Die Patientin bekam Tabletten verordnet, die den Schmerz zwar linderten, aber nie beseitigten. Außerdem blieb ein starkes Druckgefühl bestehen, das später zu Bissproblemen (einer Art Kiefersperre) sowie Muskelverspannungen und -schmerzen führte. Drei Jahre nahm sie die Tabletten trotz all ihrer Nebenwirkungen (wie Benommenheit, Müdigkeit und Schwindelgefühle) ein. Dabei lebte sie beständig mit der Angst vor weiteren schweren, für diese Erkrankung typischen Schmerzattacken.
Sie stellte sich in dieser Zeit mehrmals beim Zahnarzt und auch bei anderen Ärzten vor, da sie die Diagnose gerade wegen der Kieferbeschwerden nicht glauben wollte. Ihre Schilderungen wurden aber nie ernst genommen oder anhand der Krankengeschichte stets falsch bewertet. Die ersten Rückfragen waren immer die nach ihren persönlichen Problemen. Niemand kam auf die Idee, ein Röntgenbild anfertigen zu lassen. Selbst eine spezielle Kiefersprechstunde in der Uniklinik begann mit der Suche nach psychologischen Ursachen und exakt derselben Frage. Als die Frau in Tränen ausbrach, weil sie auch hier keine Hilfe erwarten konnte, fühlte sich der Arzt in seinem ersten Urteil bestätigt und führte nur eine sehr oberflächliche Untersuchung durch. Es folgten weitere Qualen und Verschlimmerungen durch eine verordnete Aufbissschiene, aber sie traute sich inzwischen schon gar nicht mehr zum Arzt zu gehen.
Erst als sie es überhaupt nicht mehr aushielt, setzte sie sich in die Notfallsprechstunde der Zahnärztin und bekam tatsächlich direkt wieder den gefürchteten Satz zu hören: „Also ich kann beim besten Willen nichts finden – haben sie vielleicht persönliche Probleme?“. Zum Glück machte die Ärztin doch noch eine Röntgenaufnahme der am meisten schmerzenden Zähne und wurde plötzlich ganz kleinlaut. Das Bild zeigte einen Weisheitszahn im Unterkiefer, der nicht nach oben, sondern horizontal in Richtung Kiefergelenk gewachsen war. Dieser hatte für die Kiefersperre gesorgt und auch auf den Trigeminusnerv gedrückt. Nach einer Entfernung des Übeltäters und der Abheilung der Wunde war der ganze Spuk samt Nervenschmerzen dann vorbei.
Was unterm Strich bleibt, sind fast vier verlorene Jahre mit teilweise unerträglichen Schmerzen, von denen ihr ein großer Teil erspart geblieben wäre, wenn sich der Zahnarzt bereits bei der ersten Untersuchung nicht auf die Diagnosen seiner Kollegen verlassen, sondern eine umfassende eigene Diagnostik durchgeführt hätte.
Wege aus der Krise
„Die Politik muss endlich liefern. Die einzig seriöse Antwort auf den Ärztemangel heißt: Mehr Studienplätze. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt“, fordert Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery. So einfach scheint das aber nicht zu sein. Obwohl durch den Hochschulpakt von 2007 bis 2023 Gelder fließen, hat sich die Anzahl der Studienplätze nicht erhöht. Johanna Weber von der Hochschulrektorenkonferenz begründet das mit mangelnder Planungssicherheit: „Mit befristeten Mitteln kann ich eben keine dauerhaften Studienplätze schaffen.“
Kleinere Verbesserungen zeichnen sich dennoch ab, so ist die Zahl der Facharztanerkennungen leicht gestiegen, wobei die Bereiche Innere Medizin und Allgemeinmedizin vorn liegen. Zudem gibt es einen Anstieg an zugezogenen Ärzten aus dem Ausland. Demgegenüber stehen allerdings auch Abwanderer, die es hauptsächlich in die Schweiz, die USA und nach Österreich zieht. Wenn die Bedingungen und gerade auch die Bezahlung für niedergelassene Ärzte sich nicht verbessern, wird sich für den (Kassen-)Patienten in absehbarer Zeit kaum etwas ändern.
Viel Zeitersparnis erhofft man sich auch über die Digitalisierung in der Medizin und besonders über die elektronische Patientenakte (ePA). Hier muss ich allerdings berechtigte Zweifel anmelden. Zeit spart man nur bei gleichzeitigem Verzicht auf den Datenschutz, wenn nämlich jeder Patient alle medizinischen Daten hochlädt und für alle Ärzte freigibt. Aus Gründen der Datensicherheit wäre aber die umgekehrte Vorgehensweise die bessere. Man sollte nur wirklich benötigte Dokumente hochladen und diese erst auf Anfrage hin für eine spezielle Person und einen bestimmten Zeitraum freigeben. Nur so behält man den Überblick, was wer genau einsehen darf und wofür die betreffenden Informationen benötigt werden. Zum Thema ePA und Datenschutz soll aber später noch ein ausführlicher Artikel folgen.
Was kann man selbst tun?
Wer hierzulande einen Haus- oder Facharzt sucht, bekommt Hilfe aus dem Internet. Mehrere Krankenkassen bieten einen Arztfinder bzw. -navigator an, der den Patienten bei der Wahl unterstützt. Steht eine Operation an, kann eine Zweitmeinung sinnvoll sein. In der Regel wird dieses Verfahren auch von den Krankenkassen bezahlt. Die Verbraucherzentrale weist allerdings darauf hin, dass nicht alle Eingriffe zweitmeinungsfähig sind. Eine entsprechende Richtlinie gibt es (noch) nicht. Es ist günstig, den behandelnden Arzt über das Vorhaben in Kenntnis zu setzen, damit er entsprechende Unterlagen aushändigen kann. Aber man sollte trotzdem darauf achten, dass sich der Zweitbegutachter eine eigene Meinung bildet und nicht ohne weitere Untersuchungen einfach die Einschätzung seines Vorgängers bestätigt.
Um in der Sprechstunde Zeit zu sparen, sollte man immer gut vorbereitet in der Praxis erscheinen. Wenn der Patient benötigte Dokumente wie Medikamentenpläne, Untersuchungsbefunde oder den Impfpass mitbringt und über medizinisch relevante Veränderungen seit dem letzten Besuch vielleicht sogar Buch geführt hat, kann der Arzt schneller zum Wesentlichen kommen. Ich habe mir sogar angewöhnt, mich selbstständig über Therapiemöglichkeiten zu informieren und ganz gezielt danach zu fragen. Natürlich kann ich nicht darauf bestehen, doch die Wahrscheinlichkeit, eine solche Maßnahme bewilligt zu bekommen, ist so etwas größer. Wer weiß, vielleicht hatte der Arzt genau diese Möglichkeit noch gar nicht in Betracht gezogen. Wichtig ist dabei, freundlich zu bleiben und nicht zu fordernd aufzutreten. Man muss bedenken, dass jedes Medikament und jede Therapie Geld kostet und Ärzte gerade bei Kassenpatienten nur ein gewisses Budget zur Verfügung haben. Deshalb können sie nicht immer sofort das ultimative Mittel verordnen.
Ein wichtiger Hinweis muss hier aber noch sein: Die Diagnose sollte man trotz allem dem Arzt überlassen, da man bei der Symptomsuche im Netz meist die schlimmsten möglichen Krankheiten wie Krebs oder Multiple Sklerose ziemlich weit oben angezeigt bekommt. Suchmaschinen wichten aber ihre Ergebnisse nicht nach der Wahrscheinlichkeit für eine solche Erkrankung, sondern nach der Häufigkeit von Aufrufen und einer Reihe anderer Faktoren, die nichts mit den gesuchten Symptomen zu tun haben. Außerdem findet es kein Arzt gut, wenn er mit gefährlichem Halbwissen von Dr. Google konfrontiert oder gar korrigiert wird. Diplomatie ist auch hier das Stichwort. Man muss sich ja nicht „einschleimen“, doch wenn man zu forsch und rechthaberisch auftritt, geht der Schuss vielleicht nach hinten los.
Quellen
Ärzteblatt – Konsultation beim Hausarzt oft kürzer als fünf Minuten
Landesärztekammer Baden-Württemberg – Artikel zum akuten Ärztemangel
Heinrich-Böll-Stiftung KommunalWiki – Eintrag zum Ärztemangel mit Lösungsideen einzelner Bundesländer und einer Karte der Versorgungsdichte
Arzt & Wirtschaft – Bürokratie-Wahn in Arztpraxen (Stand 2020)
praktischArzt – Was verdient ein Hausarzt pro Patient?
Wikipedia – Artikel zu Placebos und zum Placeboeffekt
Wikipedia – Artikel zum Noceboeffekt
Hermann Lang: Das Arzt-Patient-Verhältnis aus der Sicht der medizinischen Psychologie
Ärzteblatt – BKK-Studie: Ärzte verschreiben Antibiotika oft auf Verdacht
Informationsdienst Wissenschaft – Vorurteil widerlegt: Depressionen sind eine Folge und nicht die Ursache von Gesichtsschmerzen
Die Zeit – Warum gibt es nicht mehr Studienplätze in Medizin?
Verbraucherzentrale – Ärztliche Zweitmeinung: Was die Krankenkasse zahlt
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